Kaiserschnitte bringen mehr problematische Geburten


WIEN - In vielen Ländern ist ein Trend zu Kaiserschnitten auszumachen, die auch ohne direkten medizinischen Grund durchgeführt werden. Wiener Forscher haben festgestellt, dass sich diese Veränderung bereits in der Evolution des Menschen bemerkbar macht: "Echte" Geburtsprobleme nehmen zu, so ihr Fazit im Fachblatt "PNAS".

Wie in vielen anderen Ländern ist auch in der Schweiz die Kaiserschnittrate in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Inzwischen kommt hierzulande jedes dritte Kind per Kaiserschnitt auf die Welt (Stand 2010). In Brasilien sind es sogar mehr als die Hälfte der Babys.

Für längst nicht alle diese Operationen gibt es medizinische Gründe wie das Vorliegen eines zu engen Geburtskanals im Vergleich zum Kopfumfang des Kindes - einem sogenannten "Becken-Kopf-Missverhältnis". Wie oft dieses Missverhältnis vorkommt, "ist eigentlich schwierig zu schätzen, man nimmt aber an, dass die tatsächliche Rate zwischen zwei und sechs Prozent liegt", sagte Studienautor Philipp Mitteröcker von der Uni Wien der Nachrichtenagentur APA.

Der Mensch ist dafür aufgrund mehrerer Faktoren besonders anfällig: Denn einerseits ist ein nicht allzu breites Becken für den aufrechten Gang von Vorteil und mindert die Gefahr, dass es bei der Geburt zum gefährlichen Gebärmuttervorfall kommt. Ausserdem erhöht sich mit zunehmender Grösse des Kindes dessen Überlebenschance.

Rasant abnehmende "Fitness"

Aus evolutionstheoretischer Sicht nimmt also die "Fitness" mit schmälerem Becken zu, dann aber rasant ab, wenn das Kind nicht mehr spontan geboren werden kann - die Forscher sprechen von einer "Fitnessklippe".

Lag ein Missverhältnis vor, bedeutete das vor dem Einsatz von Kaiserschnitten für viele Mütter und Babys akute Lebensgefahr bei der Geburt und natürlich einen massiven evolutionären Nachteil. Aus dieser Sicht ist der Eingriff, der ab den 1950er-Jahren breiter angewendet wurde, natürlich ein Segen.

Die Wissenschaftler um den Evolutionsbiologen Mitteröcker haben sich nun angesehen, wie sich das Quasi-Wegfallen dieses einst sehr wichtigen Kriteriums für das Überleben von Mutter und Kind auswirkt. Mit dem Wissen über die ungefähre Lage der "Fitnessklippe" schätzten sie mit Hilfe von mathematischen Evolutionstheorie-Modellen ab, wie sich der Anteil an "Becken-Kopf-Missverhältnissen" in den vergangenen 50 bis 60 Jahren entwickelte.

Geburtsprobleme nehmen zu

Über die Vor- und Nachteile der in vielen Ländern "riesigen Kaiserschnittraten" gebe es mittlerweile "sehr viele medizinische Diskussionen. Dabei nimmt man in der Regel aber an, dass die tatsächliche Rate an Geburtsproblemen konstant ist. Wir zeigen, dass das nicht sein kann. Dass es einen Prozess gibt, der diese Rate vermehrt hat", weil mehr Mütter etwa das Merkmal "schmäleres Becken" an ihre Nachkommen weitergeben, so Mitteröcker.

Bei einer konservativeren Annahme von drei Prozent "Becken-Kopf-Missverhältnissen" vor dem Kaiserschnitt ergab sich nach dem Wegfall des Selektionsdrucks eine Steigerung auf 3,3 bis 3,6 Prozent. Eine solche zehn- bis 20-prozentige Zunahme in einem derart kurzen Zeitraum hat die Wissenschaftler überrascht.

"Ich glaube aber nicht, dass eines Tages alle Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt kommen müssen", so Mitteröcker. Denn der Selektionsdruck wird auch an anderen Stellen von der modernen Medizin abgeschwächt, indem sich zum Glück etwa die Überlebenschancen von Frühgeborenen stark erhöht haben.

Kein ewig fortlaufender Trend

Ein Gebärmuttervorfall sei ebenfalls meistens nicht mehr tödlich. Nicht zuletzt setze auch der Stoffwechsel der Mutter dem Wachstum des Kindes eine Grenze. "Dieser Trend kann also nicht ewig fortgesetzt werden", ist sich der Wissenschaftler sicher.

Den Forschern gehe es jedenfalls nicht um Kritik am Kaiserschnitt an sich. Es sei ihnen aber zum ersten Mal gelungen, mathematisch zu beschrieben, wie die Medizin den Lauf der Evolution ändert und wie schnell das geschehen kann.

05.12.2016 - SDA

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