Berner Gründungsvater der modernen Chirurgie


Von Angelika Jacobs, sda

BERN - Der Berner Chirurg und Medizin-Nobelpreisträger Emil Theodor Kocher erlangte vor allem für seine Arbeiten zur Schilddrüse Weltruhm. Tatsächlich bereicherte er die operative Medizin aber um viele Aspekte und trug zu einer Revolution der Chirurgie Anfang des 20. Jahrhunderts bei.

Heute kaum vorstellbar: Die Chirurgie war einst streng getrennt von der Medizin. Sie galt als viel zu gefährlich, Patienten starben reihenweise. Operiert wurde nicht in sauberen OP-Sälen, sondern in Handwerksstuben, und die Operateure hatten mit der akademischen Gilde der Mediziner nichts zu tun.

All das änderte sich erst Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, und Emil Theodor Kocher war eine der Schlüsselfiguren dieses Umbruchs. Auch wenn er nicht der einzige bedeutende Schweizer Chirurg seiner Zeit war, so war er doch der mit dem grössten internationalen Renommee. Am 27. Juli jährt sich Kochers Todestag zum 100. Mal.

Systematischer Optimierer

"Er war einer der Gründungsväter der modernen Chirurgie - von den Schweizern sicher der Bedeutendste", sagte Daniel Candinas, Professor für Chirurgie an der Uni Bern und Direktor der Universitätsklinik für viszerale Chirurgie und Medizin am Inselspital, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda. Was Kocher besonders auszeichnete war laut Candinas seine Sorgfalt, sein systematisch minutiöses Aufzeichnen der Resultate und das stete Optimieren seiner Methoden.

Der 1841 in Bern geborene Kocher begann seine Karriere als junger Chirurg am Inselspital Bern zu einer Zeit, in der die Chirurgie eine Wende vollzog. Mehrere Methoden zur kontrollierbaren Narkose waren kurz zuvor entwickelt worden.

Der Zusammenhang von Wundinfektionen und Hygiene wurde entdeckt. Und Kocher nutzte diese Möglichkeiten, fand durch eine Vielzahl von Tierversuchen, sowie sein exaktes Aufzeichnen der Verläufe bei Patienten diejenigen Verfahren zur Narkose, zur Schnittführung und Wundbehandlungen, die zu den besten Resultaten führten.

Sterberate drastisch gesenkt

Am deutlichsten wird der Erfolg dieser Herangehensweise an der Sterbestatistik nach Schilddrüsenoperationen: Zu Anfang von Kochers Schaffen lag die Todesrate noch bei rund 41 Prozent. Der Berner Chirurg brachte diese Zahl auf unter 1 Prozent.

Die Operation war zu Kochers Zeiten noch recht häufig nötig war, da der Zusammenhang zwischen Jod und der Schilddrüsenfunktion noch nicht bekannt war und es auch noch keine Jodpräparate gab. Als Bewohner eines Jod-Mangel-Gebiets hatten bis dahin viele Menschen der Region Bern Probleme mit der Schilddrüse, bis hin zu riesig vergrösserten Kröpfen, die das Atmen stark erschwerten und operiert werden mussten.

Das Wissen, das er rund um die Physiologie, Pathologie und Chirurgie der Schilddrüse generierte, brachte ihm 1909 den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie ein. Damit war er der erste Schweizer Nobelpreisträger und der erste Chirurg überhaupt, der mit einem der 1901 erstmals vergebenen Preise geehrt wurde.

Von Kocher-Klemme bis Kocher-Manöver

Zu einem gewissen Weltruhm war er jedoch schon vorher gekommen, dank seines breit gefächerten Arbeitsfeldes, das sich bei weitem nicht nur auf Operationen der Schilddrüse beschränkte. So entwickelte er beispielsweise eine bis heute verwendete Methode, um ausgekugelte Schultern einzurenken.

Auch ein Manöver, um den Zwölffingerdarm bei Magenteilentfernungen zu lösen, geht auf ihn zurück und trägt bis heute seinen Namen. Ebenso eine Arterienklemme, die er gegenüber Vorgängermodellen stark verbesserte.

"Er hat in vielen Bereichen der Chirurgie Grundlagen geschaffen, die wir heute für selbstverständlich halten", sagte Candinas. So trieb er in den 1870er und 1880er Jahren auch den Neubau des Inselspitals an der Kreuzmatte im Westen der Stadt Bern voran, um den prekären Platzverhältnissen und hygienischen Zuständen des alten Standorts zu entkommen. Mit direkten Auswirkungen auf die Sterblichkeit der operierten Patienten.

Im internationalen Austausch

Der Weltruhm des Inselspitals ging zu einem nicht unerheblichen Teil auf Kochers Wirken zurück. Der Berner Chirurg stand Zeit seines Schaffens in regem internationalem Austausch. Sowohl während seiner Ausbildung, die ihn zu Gastaufenthalten bei damaligen Koryphäen in Zürich, London und Paris führte, als auch als chirurgischer Lehrmeister, zu dem medizinischer Nachwuchs aus aller Welt kam. Zu seinen Lehrlingen gehörte der US-Amerikaner Harvey Williams Cushing, der als Begründer der modernen Neurochirurgie gilt.

Bis kurz vor seinem Tod stand Kocher noch im Operationssaal. Am Abend des 23. Juli 1917 führte er seine letzte Notoperation durch. Kurz darauf fühlte er sich unwohl, zog sich zurück und verlor wenig später im Bett das Bewusstsein. Vier Tage später verstarb er im Alter von 75 Jahren und wurde auf dem Berner Bremgartenfriedhof bestattet.

In Bern erinnert vieles an den weltberühmten Chirurgen: Der Kocherpark, die Kochergasse und das Theodor Kocher Institut der Universität Bern sind nur einige der Denkmäler, die ihm gesetzt wurden. Und es kommt bald ein weiteres hinzu: Das Inselspital würdigt seinen langjährigen Klinikleiter zu seinem 100. Todestag mit einem Neubau, der am 18. August offiziell den Namen "Kocher-Haus" erhalten soll.

21.07.2017 - SDA

News

Newsletter